Freund und Feind

Es ist noch sehr verbreitet, in Plus und Minus zu denken. So denkt man in Schwarz und Weiß, in Hell und Dunkel, in Gut und Böse, in Oben und Unten – und in Plus und Minus. Woher kommt diese Denkweise bloß, fragte ich mich schon lange. Das wirkliche Leben ist doch bunt, es ist komplex und es ist vielschichtig. Was heute Plus erscheint, ist morgen Minus – und umgekehrt. Wie kann es bloß sein, dass so viele das Bedürfnis haben, ja darum streiten, diese Urteile fällen zu wollen, die sie doch immer gleich von einer Seite entzweien?

Ich habe die Lösung gefunden: Sie liegt im Krieg. Der Krieg bringt es mit sich, dass man einen Feind hat – oder mehrere Feinde. Ein Feind jedenfalls macht es notwendig, ihn von sich abzusondern. Der Feind ist gegen mich und wer mein Feind ist, ist nicht für mich. Wer für mich ist, ist gegen meinen Feind. Wer für meinen Feind ist, ist gegen mich. Wer für mich ist, ist gut. Wer für meinen Feind ist, ist böse.

Nun ist der Krieg so weit in unsere Kultur eingedrungen, dass die Leute auch in Plus und Minus denken, ohne sich direkt im Krieg zu befinden. Es herrscht bei vielen Menschen eine regelrechte Sucht nach dieser Unterteilung und sie leben von Moment zu Moment in einem ständigen Kampf mit einem vermeintlichen Gegner. Bis zum letzten Atemzug kämpfen sie um ihr Überleben, getrieben von Angst, von Hass und von Wut.

Nur einen Augenblick entfernt, nur eine Entscheidung weiter kann ihr Leben ganz anders verlaufen. In dem Moment, wo man sich von der Idee der Feindschaft verabschiedet, ist sie automatisch beendet, die Feindschaft. So einfach ist das.